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... Willi rund Spitzbergen

 

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Die Enden der Welt

 … haben uns beide schon seit langem gelockt. Und nachdem wir uns dem südlichen vor Jahren unter Umwegen geografisch und mental (an-)genähert hatten, bleibt noch das nördliche ... 

Doch anders als vor gut zwei Jahren geplant und bis Januar als Option gehalten, begebe ich mich allein auf Reisen: Barbara besteht darauf, dass mir nach gut einem Jahr „pflegerischer Tätigkeit an einem geliebten Menschen“ ein „wohl verdienter Urlaub“ zusteht und ich zumindest mir unseren lange gehegten Traum von der Arktis  endlich erfüllen sollte. Confieso que mancher ihrer Wünsche mir ohne ernsthaften Widerspruch zum Befehl wird … 

Wieso wir „damals“ ausgerechnet auf Spitzbergen gekommen sind? Den Nordpol per Eisbrecher zu erobern schien uns trotz ausgiebiger Lektüre diverser Reiseberichte etwas öde. Selbst Willemsen vermittelt im KapitelNordpol“ eher eine Anleitung zur „Einkehr“, zur Selbstfindung (oder auch nicht) unter ungewöhnlichen Bedingungen an exotischem Ort.

Na gut, auch kostenmäßig hätte eine solche Unternehmung nicht gerade unserer Kragenweite entsprochen ...

In unserem arktischen Zielgebiet sollten „ganz normale Menschen“ leben (nicht unbedingt viele, davon haben wir in Berlin mehr als genug), die durchaus etwas speziell sein durften – muss mensch ja wohl bringen, wenn er/sie es in extremer Gegend unter extremen Witterungsbedingungen und Lichtverhältnissen aushält. Außerdem sollte es außer Eisalgen auch chlorophyllhaltige Pflanzen geben, welche auf dem Land, resp. im/auf dem Boden leben. UND Tiere, die wir immer schon mal sehen wollten, Walrosse z.B. und Eisbären. Letztere sind uns ob diverser Besuche im Zoo geläufig – und durch ein Foto, das an heißen Sommertagen von der Tür zum Lehrerzimmer „Hitzefrei nach der vierten Stunde“ verkündete. Nicht zuletzt, im Gegenteil, ganz zu Anfang, hat uns Rinie, ein wissenschaftlicher Begleiter auf der „Prof. Molchanov“, in der Antarktis mit seinem Schwärmen von jenem Teil der Antipoden einen Floh ins Ohr gesetzt, der schließlich aktiv(iert) wurde … 

Ich hätte nicht auf ihn gehört, hätte mich „die Kleene“ nicht auf die Reise geschickt, damit ich ihr davon erzähle, hätten nicht die Kinder, enge Freunde und gute Bekannte versichert, sich „gut um Barbara zu kümmern“ – und sie haben’s getan, sogar bestens! Dickes "Danke" Euch allen, besonders an Marianne, Michal, Steffen und Flo.

 

Einem wunderschönen Gemälde …  

… gleich, welches mensch sich an seinen Lieblingsplatz hängen sollte, um es jeden Tag bis an sein Lebensende mit wachsender Begeisterung anzuschauen und zu genießen, sei für sie die Antarktis, während die Arktis ob ihrer vielfältigen Landschaftsformationen, ihrer Fülle an Pflanzen und der großen Zahl höchst unterschiedlicher Tiere eher mit einer gut bestückten Galerie zu vergleichen sei war Michelles (unsere Expeditionsleiterin) Antwort auf die Frage nach der von ihr empfundenen unterschiedlichen Wirkung dieser beiden Enden der Welt.

Ihrem Vergleich schließe ich mich an; und auch ich zähle zu denen, die ihrem Eindruck nach von der Landschaft am nachhaltigsten fasziniert sind, in der sie sich als erstes aufgehalten haben – wobei ich mich von Tag zu Tag mit wachsender Begeisterung durch die Galerie habe wandeln lassen!!! 

 

... und es gab es zahlreiche Momente, in denen ich überwältigt war, mir die Luft weggeblieben ist und ich durchaus nachvollziehen konnte, dass es auf Spitzbergen manche/n umhaute oder auf die Knie sinken ließ …

Keine Sorge, Ihr Lieben, esoterische Heilssuche zieht mich noch immer so an wie die Dogmen der Heilig Römischen … 

Da Hinweise und Reisewarnungen des AA diesmal getrost zu vernachlässigen sind und selbst die Reisemedizin nichts zum Ziel beizutragen hat, nähern wir uns also ohne die üblichen Links den Gründen meiner wachsenden Begeisterung …

 

 

Mo, 01. August, Tag 1 

Beeindruckend!  

Am Gate in Oslo noch das Abschätzen, wer von den wartenden Fjäll Rävens, Wolfskins, Mammouts etc., die ich bereits beim Frühstück im Radisson taxieren konnte, mit aufs Schiff kommt, welcher der beiden einschlägig gekleideten allein reisenden Herren mit mir Cabin 9 teilen wird. Keine gesträubten Nackenhaare beim Einsteigen - na gut, Ihr wisst, ich bestehe auf meinen Vorurteilen, bis ...

Und auch das Bauchgefühl nach der Landung stimmt: keine mallorcamäßige Hysterie am Gepäckband, hingegen unaufgeregtes, fast schon statisches Gewusel und ein freudig gespannter Empfang durch die Guides gleich dahinter. Draußen begrüßen uns frische Herbstluft (auch wenn noch Sommer ist), dazu ein strahlend blauer Himmel und eine sanfte Sonne; der Isfjord, von ihr in warme Farben getaucht, wirkt als Hintergrund fast schon gestellt. „Take a picture, here and now!“

Kurze Busfahrt zum Pier und rauf auf die „Antigua“ – Rumpf und Aufbauten aus Stahl, das Deck aus Holz, frisch geschrubbt (früher - heute: frisch gekärchert), Tauwerk ordentlich aufgeschossen, Segel ebenso geborgen; Bernhard könnte vor mir hier gewesen sein …  

(Fotos  dazu)

 

Unter Deck in Cabin 9 begegnet mir Werner, einer der beiden anderen einzeln reisenden Herren "von vorm Gate in Oslo" – Klischee bestätigt. Werner nimmt physisch deutlich mehr Raum ein als ich und gerade üppig ist der Platz für’s Gepäck in unserem „Doppelstockzimmer“ auch nicht. Unter Werners Bett passen unsere nur bedingt ausgeräumten Reisetaschen, neben dem Waschbecken gibt’s für uns je eine Ablagefläche im offenen Schrank. In die untere Hälfte hängen wir unsere Jacken, gleich hinter die Schwimmwesten, im oberen Fach liegen die Rettungswesten. Dafür bietet die Nasszelle Raum für entspanntes Sitzen oder ausladendes Duschen. Wir stellen also für unsere Kabine eine starke Herausforderung dar, doch wollen wir sie nach Kräften unterstützen – und schaffen es, erfolgreich, all die Tage. Lediglich die Physik setzt uns hin und wieder Grenzen. Doch das ist eine andere Geschichte. 

Ein (zeitlich) kurzer Abstecher nach Longyearbyen führt in eine als Bergarbeiterstadt gegründete Siedlung, welche mensch noch häufig über (Über-)Reste ihrer ehemaligen Bestimmung stolpern lässt, zumindest mit den Augen. Mit nostalgisch verklärtem Blick wäre mir vielleicht ein „Bemerkenswert!“ entfahren. Doch nicht alles, was historisch ist, ist (oder war) bemerkenswert. Die Untaten meiner Vorfahren dürften erheblich zu diesem Eindruck beigetragen haben ...

Doch auch die „neue Stadt“ mit ihren Gebäuden (be)dient in erster Linie "nur" ökonomische/n Funktionen; Ästhetik findet wohl eher in den Wohnräumen und im Museum statt. Geprägt von Supermärkten, Kneipen, Schnellimbissen und dem ein oder anderen Restaurant, einigen Hotels, paar ansprechenden hölzernen Wohnbauten und schmucklosen Wohncontainerzeilen lädt der Ort nicht unbedingt zum Verweilen ein. „Get rich fast“ sei das Motto der meisten hier ansässigen Menschen – und genau so sieht es hier auch aus. Wird Zeit, dass ich zurück aufs Schiff komme … 

(Fotos von Longyearbyen) 

 

Das Abendessen erwartet uns am Buffet im Salon. Der wirkt ausgesprochen gemütlich, fast heimelig, in etwa so, wie ihn sich der kleine Willi auf einem Segelschiff vorstellt. Ist er auch, wenn man einfach nur auf den Bänken in tiefen Polstern an polierten Holztischen sitzen kann. Beim Essen hingegen wird’s, euphemistisch ausgedrückt, kuschelig. Wohl dem, der keinen Sportschwimmer zum Nachbarn hat, von korpulenten ganz zu schweigen. Jede Benimmmatrone würde mit Freuden registrieren, dass selbst die Knilche auf der Bank, welche nicht durch ihre Schule gegangen sind, mit very British angelegten Ellenbogen das ausgesprochen schmackhafte Mahl zu sich nehmen. Abgespreizte kleine Finger nähmen allerdings schon zuviel Raum ein, ähh, weg …

Das Platzangebot betreffend, hat R. Stange mit seiner Anmerkung, dass "kleinere Schiffe im Vergleich zu größeren Kreuzfahrtschiffen einen schlichteren Standard bieten" gewiss nicht Unrecht. Was hingegen die Küche, die Bar, der Service, die Jungs auf der Brücke und die Guides zu bieten haben, hält jedem Vergleich stand - bis zum Schluss!!! Manches gehört zum Besten, was ich auf „Expeditionsseereisen“ erlebt habe – dickes Danke an alle!

Nach der Vergatterung (klare, prägnante Ansage der dos and don’ts) durch Jo, unseren Kapitän, der dabei auch seine Crew präsentiert, und der Vorstellung unserer Guides, verbleibt noch reichlich Zeit, unsere Heimstatt für die nächsten fünfzehn Tage zu inspizieren.

(Fotos von der „Antigua“...)

(... und was eine Barkentine ausmacht)

(Rolf Stange zum Schiff)

(Deckplan)

 

 

Di, 02. August, Tag 2 

Boarding completed … 

… nachdem gestern Abend zwei Gästinnen, die ob Überbuchung unserer Maschine zunächst in Oslo hängen geblieben waren, mit einem „späten Flug“ ihre Kabine beziehen konnten und ein vermisstes Gepäckstück mit einem noch späteren Flug doch noch an Bord gefunden hat, laufen wir gegen 02:00 Uhr in helllichter Nacht aus und wenden uns nach Verlassen des Isfjords gen Süden. Sanfter Wellengang wacht über meinen gesunden Schlaf.

(vorab unsere Route um Spitzbergen)

 

Im van Mijenford gehen wir in der Fridtjovhamna vor Anker; der erste Landgang ist geplant, verzögert sich jedoch, weil sich eine Mitreisende ernsthaft an der Schulter verletzt hat. Nachdem sie versorgt ist, steigen wir in die Zodiacs und betreten in der geschützten Bucht den von Kies und Geröll bedeckten Strand. Ihn wandern wir entlang, an einem hölzernen Gestell vorbei, auf dem Trapper ihren Fang, meist Robben, eisbärensicher zum Trocknen aufhängen. Bis zur angekündigten Hütte kommen wir heute nicht. Auf dem Rückweg fällt unser Blick auf den Fridtjovbreen, der von spitzen Bergen eingefasst ist.

(Fotos aus der Bucht)

 

Während des Mittagessens und beim „Kaffee danach“ lässt sich das gegenseitige Beschnuppern entspannt fortsetzen. Wie Willemsen bereits auf seiner Fahrt durchs Eis feststellte, reist auch auf unserem Schiff der ein oder andere „Tourismus-Snob“ mit, der „mitunter wie Gottvater selbst“ redet …

Am frühen Nachmittag schippern wir um die Akseløya herum zurück in den Bellsund. Auf der Ostseite und an der Südspitze ist diese Insel ausgesprochen flach, verglichen mit den hohen Bergspitzen der Umgebung. Nahe der schmalen Passage liegt die Haupthütte eines Jägers. Hier hängen einige Robben am Trockengestell.

Laut Michelle eigentlich der „Nachtisch einer Spitzbergenumrundung“, für uns hingegen Süßspeise zum ersten Gang, weil wir entgegen des Uhrzeigersinns fahren, soll der Landgang auf dem Ingeborgfjellet werden.

Und er wird es: Bereits vor der Landung am flachen Kiesstrand öffnet sich eine weitläufige flache Küstenebene, hinter deren Strandwällen sich eine meist trockene Tundra bis zum Fuß einer Kette spitzer Berge ausdehnt. Spitzbergen Rentiere mit vollgefressenen Bäuchen grasen, ohne sich von uns stören zu lassen. Im Gesteinsschutt brüten Krabbentaucher in großer Zahl und wachen aufmerksam über die nahe Umgebung. Sie lassen sich weniger durch uns Eindringlinge aufschrecken, auch nicht durch Dreizehenmöwen, die auf Beutesuche sind, sondern durch einen jungen Eisfuchs, der oberhalb der Kolonie durchs Geröll schnürt und laut nach seiner Mama jammert. Viel Neues für den „ersten“ Tag – Augen zu und einfach mal ruhig nach draußen hören, bevor ich in mich hinein horche …

Bei unserem Umweg zurück zum Strand streifen wir an einer weiteren Gruppe von Rentieren vorbei, die sich am leckeren Grün gütlich tun. Die Böcke stehen noch friedlich beieinander – Streit um die Mädels gibt’s wohl erst später im Jahr; gut Ding ...

(Fotos vom Ingeborgfjäll)

 

Nach dem Abendessen laufen wir unter wärmender Sonne quer durch den Bellsund, um vor Midterhuken zu ankern. Die steil stehenden Sedimentschichten markieren mit markanten Mustern, Maserungen nicht unähnlich, die „Knautschzone“ zwischen amerikanischer und eurasischer Platte.

(ausführlich zum Bellsund)

 

 

 

 

Mi, 03. August, Tag 3 

Am letzten Glas Wein …

… an der Bar wird es nicht gelegen haben, dass wir nach durchfahrener Nacht unter regnerischem Himmel in den Hornsund einlaufen.

Doch zeitgerecht nach dem Frühstück lacht uns wieder die Sonne, so dass der Landung in Gåshamna, einer offenen Bucht auf der Südseite der Halbinsel, nicht einmal das Wetter entgegen steht …

Jede Menge Walknochen, vom Oberkiefer bis zu Wirbeln, oftmals im Boden eingewachsen, zeugen vom Tun englischer wie russischer Walfänger. Vom sich im Laufe der Zeit zersetzenden Gebein reichlich gedüngt, gedeihen Moose und andere Pflanzen in unmittelbarer Nähe prächtig – nicht nur einen farblichen Kontrast vermittelnd. Hier entsteht neues Leben aus gewesenem, braune Tonne en nature …

Ansonsten ist das weite, trocken gefallene Flussbett fast frei von Vegetation. Allerdings finden sich an den seitlichen Hängen flache Tundraflächen (vgl. R. Stange, S. 521).

Nur wenige Schritte von unserem Landeplatz entfernt erheben sich kleinere Hügel: Reste alter Tranöfen. Am Hoferpynten liegen noch deutlich sichtbar, doch für uns nicht zu betreten („Kulturdenkmal“), die Reste einer Pomoren-Jagdstation, Konstantinovka. Rote Ziegel, aus denen Vertreter dieser Volksgruppe ihre Behausungen errichtet haben, liegen noch am Strand.

Von einer Kuppe oberhalb, gleich neben einer alten Fuchsfalle, bietet sich ein freier Blick über die Weite der Bucht und des Fjords.

(Fotos aus Gåshamna)

(noch ein wenig Geschichte)

 

Unsere (Weiter-)Fahrt in östlicher Richtung unterstützt achterlicher Wind – also werden die Rahsegel gesetzt. Dabei kommen auch zarte Pensionistenhände nicht ungelegen. Daniels besonnene Anweisungen und Alwins befeuernde Kommandos machen jeden Shanty überflüssig. Sanft gleiten wir mit leicht geblähtem Tuch durch glatte See dem Brepollen entgegen – und finden reichlich Zeit, die Hochalpenlandschaft am Ufer zu genießen.

In der weiten Bucht am (noch) Ende des Hornsunds bieten die zahlreichen Gletscherfronten, welche sie umrahmen, eine imposante Kulisse, die sich jedoch immer weiter zurückzieht – und vielleicht einmal die Durchfahrt in die Hambergbukta frei gibt. Die globale Erderwärmung lässt grüßen - und die der arktischen Gewässer erst recht …

(hierzu: R. Stange: Spitzbergen. - 20155)

(Fotos zur Brepollen)

(... und Näheres zum Hornsund)

 

Gespickt mit einigen Informationen zum „Eisbärenkarussell“ behalten wir auch während unserer Rückfahrt, die Segel sind eingeholt, „Wasser, Eis, Uferlinie und Hänge“ genau im Auge, entdecken jedoch weder Weißwale noch Bären, die sich auf einer Eisscholle um das Südkap haben treiben lassen. Doch es liegen ja noch einige Tage vor uns …

 

 

Do, 04. August, Tag 4

… und Nächte!

In der vergangenen liefen wir zunächst mit leichtem Rollen, später recht ruhig an der Westküste des Sørkapplandes entlang, bogen weiträumig um das Kap und glitten gemächlich an der steilen Ostküste nach Norden. Doch auch hier begegneten wir weder Eisbären noch –schollen …

Stattdessen leuchtet uns die Sonne nach dem Frühstück die steilen Abbruchkanten des Stellingfjellet aus, in denen Dickschnabellummen fast waagerecht verlaufende „Südostterrassen“ bewohnen. Die vor wenigen Wochen geschlüpften Jungen stürzen sich mutig von den Klippen, an deren Fuß jedoch nicht einmal ein Fuchs auf leichte Beute lauert.

Ein leichter Südwest lässt alle Hände auf Deck rufen, um sämtliche Segel zu setzen. Unter Vollzeug laufen wir gen Norden – 9 kn sind der Lohn des Schwitzens …

(Fotos unter Vollzeug)

 

Nicht ins Schwitzen doch ins Schwärmen kommen wir, als unterm warmen Licht der Abendsonne die ersten Finnwale gesichtet werden. Mit einer Engelsgeduld, die Segel sind eingeholt, motort Jo den Meeressäugern hinterher: Ihr Weg ist das Ziel. Und weil Zeit auf diesem Schiff unter diesen Umständen keine Rolle spielt, gibt jeder neue Blas den Kurs vor. Auf berliner Straßen wäre schon längst die rote Kelle rausgehalten worden …

(ein Hauch von Finnwal)

 

Nach dem Wa(h)lprogramm nehmen wir Kurs auf Edgeøya. Ganz früh am Morgen fällt der Anker … und ich träume weiter von den Fischen, die keine sind. Fünfzehn Begegnungen seien es gewesen, erfahre ich beim Frühstück von den profimäßigen Amateurfotografen, die mitgezählt haben.

 

 

Fr, 05. August, Tag 5 

A hazy shade of grey

… verschleiert die Bucht vor Kapp Lee, einen Steinwurf nördlich von Dolerittneset und gleich südlich der Einfahrt zum Freemansund. Zwischen Rührei und „Hast Du auch die Wale gesehen?“ stellt uns Michelle den „Plan A für heute Morgen“ vor.

Kaum sitzen wir im Zodiac, lacht uns "mata hari" (...). Der mächtige Felsklotz des Kaps liegt noch im Schatten, die flache Bucht südlich hingegen bereits in der Sonne. Diese scheint nicht nur auf die Hinterlassenschaften norwegischer Trapper, eine um 1904 aus vorgefertigten Holzteilen erbaute achteckige Hütte (prä IKEA lässt grüßen), zwei weitere „im klassischen Stil“ errichtete Unterkünfte und das weite, am etwas höher gelegenen Ufer mit einem Meer an Knochen von anno dunnemals abgeschlachteten Walrossen – nicht von ungefähr firmiert dieser Ort auch als „Walrossfriedhof“ –, sondern auch auf eine höchst lebendige Herde dieser massigen Tiere.

Junge und alte Bullen aalen sich am warmen Strand, äugen misstrauisch zu uns herüber, zeigen sich jedoch nicht weiter gestört und gewähren uns Zutritt bis auf fünfzig Meter. Einer der Kolosse manövriert sich ins Wasser. In diesem Element fällt jede Behäbigkeit von ihm ab; hier wird er vom "in seiner Mobilität Gestörten" zum Akrobaten – erinnert mich sehr an meinen verstorbenen Tauchbuddy Ludwig …

(Fotos von Walrossen)

(und was wiki alles weiß)

 

Wir steigen auf die Basaltspitze oberhalb der Kolonie, den gebotenen Abstand wahrend und die auf den ersten Blick unauffällige (Matsch-)Fläche meidend, unter der sich einige Kubikmeter „Fließerde“ verbergen.

So gemütlich es ist, den Walrossen beim Nichtstun zuzusehen, so unerträglich ist ihr Geruch, den der Wind zu uns trägt. Christian konstatiert korrekt: „ … Mundgeruch wie einer, der täglich kiloweise Muscheln und Fische frisst, sich jedoch noch nie die Zähne geputzt hat …“ Gut, dass wir bereits gefrühstückt haben!

Nach dem Geröll am Strand und etwas Frostschutt beim Anstieg bewegen wir uns auf einem kleinen Plateau voller Tundravegetation, dazwischen Siedlungsspuren von Pomoren. Zwei äsende Spitzbergen Rentiere lockern den botanisch orientierten Abschnitt der Wanderung erheblich auf, zumal sich die Tiere offensichtlich nicht unwohl fühlen, dass ihnen Zweibeiner, möglicherweise gehörnt, doch unisono ohne Geweih, beim Sattwerden zuschauen. Damit Ihr mich nicht falsch versteht, ein gewisses Interesse an botanischen Erscheinungen hat sich durchaus meiner bemächtigt

(Fotos von Edgeøya)

(Fotos von Rentieren)

 

Auf dem Rückweg fallen an der Strandlinie Kubikmeter an Treibholz ins Auge, meist fachgerecht geschlagene Baumstämme aus Sibirien, die den Flößern entwischt und hier jwd angetrieben worden sind.

Von einer Anhöhe oberhalb des „Fertighäuschens“ irritieren „grüne Linien“ in der tiefer gelegenen Senke: ein Eiskeilnetz – eines der gängigen Frostmuster im/auf arktischem Boden.

(Fotos vom Eiskeilnetz)

 

Wir schlendern gemächlich Richtung der drei Hütten, die jedoch nicht auf Anregung Petrus’ errichtet wurden; für zwei zeichnet die Ölfirma Caltex verantwortlich: Freizeitzwecke standen dahinter. Ein Pool zeugt von einer 1968 zu Forschungszwecken erbauten Station, die mittlerweile (fast) vollständig wieder abgebaut worden ist.

(Fotos von Dolerittneset)

 

Am frühen Nachmittag, kaum sind wir in den Freemansund eingefahren, beglücken uns an der Nordküste von Edgeøya eine Eisbärin mit ihrem Einjährigen hoch im Hang in einer Schmelzwasserrinne. Muttern läuft die Gegend nach Essbarem ab, Junior amüsiert sich zwischen den Steinbrocken, folgt ein wenig später – wohl in der Hoffnung, etwas Festes zwischen die Zähne zu bekommen.

Wir freuen uns noch über die erste, sehnsüchtig erwartete Begegnung (nun gesteht auch jede/r an Bord, dass die Reise mit der festen Erwartung angetreten wurde, dem „König der Arktis“ zu begegnen – in gebührender Entfernung, versteht sich …), als die prächtigen Tiere geradezu inflationär auftauchen. Backbords, am steilen Südufer der Barentsøya sichten wir sechs (6!) Exemplare. Neben einem, das faul am Strand ausgestreckt liegt, mimt eine Mutter mit einem Zweijährigen in einem ‚mud slide’ den Bettvorleger, während eine dreiköpfige Jungsgang unweit eines siebten, einem ‚loner’ zu uns herüberschauen. Noch während die Amateurfotografen nach immer neuen (Ein-)Stellungen suchen, wird ein kräftiges vierjähriges Männchen hoch im Hang in einem Schneefeld entdeckt. Es wandert auf einer Höhenlinie über Stock und Stein und ist uns mit unseren 5 kn Geschwindigkeit bald deutlich voraus – mal eben so locker gut 10 km/h …

Spätestens jetzt, etwa auf halber Strecke im Fjord, hätte ich meine G 12 gerne gegen eine „richtige Kamera“ getauscht. Da macht’s dann auch nichts mehr aus, dass unterhalb eines zerklüfteten Felsens, in dem Dreizehenmöwen nisten, ein abgemagerter Eisbär in der Abendsonne liegt und nicht einmal den Kopf hebt als wir an ihm vorbei fahren.

Wenn schon nicht während der ersten Walsichtungen, dann spätestens jetzt dürfte allen Reisenden klar geworden sein, dass der Kapitän mindestens ebenso narrisch aufs Getier ist wie wir: Er nimmt sich und lässt uns alle Zeit der Welt, ausgiebig zu beobachten – besten Dank auch, Jo!!!

Wenn schon keine Fotos, dann wenigstens Infos:

(vom wwf)

(... und aus wikipedia

Unter all dem Schwärmen und Herzeigen gelungener (oder auch nicht) Fotos gleiten wir aus dem Sund in die Nebelbänke der Olgastretet. Von der Ostküste der Barentsøya ist kaum etwas zu sehen. Zeit für die Heia, doch nicht ohne vorherigen Plausch am Tresen …

 

 

Sa, 06. August, Tag 6 

Es brummt …

… mal wieder beim Aufwachen: Wir fahren gemächlich in den nicht all zu breiten Heleysund und finden in einer langen, schmalen Bucht einen ruhigen Naturhafen, der nicht den starken Gezeitenströmen ausgesetzt ist, welche sich durch die beiden Meerengen zwischen Spitzbergen und der Barentsøya zwängen.

Selbst vollständig geleerte Frühstücksteller locken die Sonne nicht hervor – also betreten wir im (nicht mit) Grauen den schmalen, flachen Strand von Straumsland. Basaltsäulen säumen das Ufer und zwingen zu einem Umweg, bevor wir eine relativ weite Ebene mit schöner Tundra erklettert haben. Pfützen und Teiche stehen in den Senken. Bei den Anstiegen lacht uns die Nationalblume, der Svalbard Mohn, entgegen; der Nickende Steinbrech tut auch ohne Windhauch das, wonach er benannt ist.

Die zerklüfteten Klippen bieten einen weiten Blick über Heleysund und Ormholet – und geschützte Nistplätze der Dreizehenmöwen und Gryllteisten. Das hält einen Eisfuchs nicht davon ab, nach Beute zu suchen. Dem Eisbären, der lt. R. Stange „… regelmäßig irgendwo am Ufer auf leichte Beute wartet …“, begegnen wir nicht. Ist auch gut so, nicht im „Irgendwo“ zu leichter Beute zu werden …

(Fotos von Straumslandet)

 

Auch eine Beute der „Stromschnellen“ werden wir Dank Sarahs Steuerkunst nicht – am Nachmittag gibt’s Rafting pur, allerdings unter Motor: Im Zodiac begeben wir uns in die Tidenströmung des Ormholet. Mit bis zu 10kn fetzen die Wassermassen durch die Engen und verwandeln die Fjorde in einen Wildwasserstrom. Spaß macht’s, feucht auch – wir holen paar Eimer Wasser über und stellen spätestens zurück an Bord der „Antigua“ fest, ob Helly Hansen oder sonst wer diese Bewährungsprobe bestanden hat. Eine heiße Schokolade mit Schuss tröstet über kalte Hände und durchnässte Klamotten hinweg.

(leider keine Fotos auf der G 12 …) 

Nach Kaffee und Kuchen nehmen wir Kurs auf Nordaustlandet und fahren am späten Abend an der Gletscherfront des Bråsvellbreen, des südlichen Teils der Eiskappe, entlang. Die Sonne taucht die Abbruchkanten ins rechte Licht, lässt die Schatten spielen und vergessen, dass wir gut zwei Stunden Richtung Vibukta schleichen. Christian im Ausguck weist den rechten Weg zwischen den Eisschollen. Auf einer liegt malerisch eine Bartrobbe, die sich allerdings durch zahlreiches Aaahs! und Ooohs! sowie die lautstarken Fotoapparate bald gestört fühlt, ins Wasser gleitet und sich so den neugierigen Blicken entzieht. Schade drum … 

(wiki zu Nordaustlandet)

 

 

So, 07. August, Tag 7 

Schade auch, …

… dass ich gestern Abend bei schönstem Mitternachtssonnenschein, welcher den Bråsvellbreen mit all seinen Brüchen, Spalten und Maserungen ausgeleuchtet hat, nicht noch einmal zum Fotografieren an Deck gegangen bin - heute beim ersten Blick nach dem Aufwachen aus dem Bullauge und später, beim zweiten oder dritten an Deck auf dem Weg zum Thermometer am Steuerhaus wird klar: Bei dem Wetter schickt man keine Robbe auf die Scholle! Trübe der Himmel, mehr grau als weiß die Abbruchkante des Gletschers, düster der Strand.

Doch statt der Fortsetzung des Ruhens mit anderen Mitteln (Schokolade in der Koje, z.B.), gehe ich mit an Land. Ich will ja schließlich was von der Welt sehen, ein Stück Hocharktis vielleicht …

Und davon gibt’s reichlich Quadrat(-kilo-)meter auf der zweitgrößten Insel Svalbards. Einige wenige davon sind eis- und gletscherfrei, und wir mittenmang! Mit Christian stolpern wir durch einen breiten Gürtel Frostschutt am Strand, bevor wir vor weiteren Spuren des Permafrostbodens verharren: sortierte (nicht von uns) Steinringe, Thufure, Trollbrote – weitere Frostmuster also, Ergebnisse von Frosthub und Frostsprengung.

Die wenigen Moosflecken, die paar Flechten und vereinzelt stehender Svalbard Mohn bestätigen R. Stanges Feststellung „Die Flora dieser Polarwüste besticht durch weitgehende Abwesenheit, vor allem die weite Küste in der Vibebukta ist äußerst karg“ (S. 428). Dass es hier nicht immer so kalt gewesen ist, zeigen Fossilien, die zuhauf zu finden sind. Irgendwann einmal lag der Archipel umterm Äquator im Wasser ...

(Fotos von Vibebukta)

 

Auch ohne Sonne lassen wir am Nachmittag die mächtige Eiskante mit ihren Wasserfällen und einem riesigen, Hallen gleichen Gletschermund, dessen Decke undicht ist, für über eine Stunde auf uns wirken, bevor wir den Kurs um 1800 ändern und in die Hinlopenstraße einlaufen.

(Fotos von der Gletscherfront)

(wiki zur Hinlopenstraße ...)

(... und Details von npolar)

 

Sunday Night Fever …

… unterm Alkefjellet, nach Mitternacht, fast ohne Alk. Und dennoch: „Wer das Alkefjellet  erlebt hat, wird diese Erfahrung nicht wieder vergessen“ kommentiert R. Stange (S. 420) und fügt hinzu „Selbst ohne Vögel wären die bis zu 100 m hohen, senkrechten Basaltklippen sehenswert“ (S. 421). Stimmt alles! Die steilen, groben Säulen sind aus der fast senkrechten Felswand herausgewittert, Schneereste kleben noch in den Rinnen und kontrastieren zu dem fast schwarz schimmernden Basalt, den dunkelgrünen Moosflecken und den helleren Grasflächen. Eine Landschaft für Orks oder Trolle …

… und für eine große Kolonie Dickschnabellummen, die hier während der Brutsaison zu Hause sind. Dicht an dicht hocken sie auf oder vor ihren Nestern, die fast schon ineinander übergehen. Hier ist die Hölle los – die Erwachsenen suchen und finden Nahrung für die Brut. Entsprechend hektisch geht’s zu bei ihren An- und Abflügen auf der Veranda direkt überm Meer.

(wiki für die, die was mit Vögeln haben …)

 

Als wäre das nicht bereits Inszenierung genug, lauert jemand unmittelbar unter den Klippen auf die noch nicht flüggen Jungvögel, welche sich mutig in die Tiefe stürzen, um mit Vatern nach Grönland zu schwimmen (!) – Muttern kommt nach ein paar Wochen Auszeit hinterher geflogen. Leichte Beute für einen Eisbären, sollte man meinen. Unser Exemplar ist noch recht jung und wenig erfahren, lässt sich vielleicht auch von unserem Schiff ablenken (das Glücksspielautomatengepiepe der Kameras wird auf Geheiß der Guides abgeschaltet …). Jedenfalls bekommt er, während wir ihn begleiten, weder im Wasser noch auf seinen Landgängen etwas zwischen die Zähne, dafür haben wir ausgiebig etwas zu sehen …

(Suchbilder mit Eisbär)

 

 

Mo, 08. August, Tag 8 

Arg karg …

… ist’s in und um Kinnvika, einer ehemaligen Forschungsbasis, in welcher im Rahmen des Internationalen Geophysikalischen Jahres 1957-58 schwedische, finnische und schweizer Wissenschaftler Daten zur Erforschung der arktischen Atmosphäre erhoben. Einladend wirkt die Station nicht, nicht nur wegen des hinterlassenen Gerümpels „vor der Hütten“: Viel Steine gibt’s und wenig Grün; und der graue Himmel über allem lässt auch nicht gerade südländische Gefühle aufkommen. Dafür dürfen wir mal bei promovierten Hempels in Küche, Werkstätten und Sauna schauen, die noch einige Relikte der Nutzung während des Internationalen Polarjahres 2007-08 beherbergen.

Die Einrichtung ist spartanisch, auch wenn offenbar elektrischer Strom zur Verfügung stand und die Schlafräume zentral beheizt waren. Doch ob die Sauna die Entbehrungen der Forscher kompensieren konnte – oder die verbliebene Flasche „by appointment to her majesty …“? Ein Blick aus dem Fenster zum Klohäuschen und die Vorstellung, draußen lauere der Eisbär …

(Fotos von Kinnvika)

(wiki zum Forschungsprojekt)

(Details über Nordaustland) 

 

Am Ufer findet sich ein Treibstoffdepot, das den Einsatz von (Rettungs-)Hubschraubern in dieser entfernten Gegend gewährleisten soll. Eine Lagerstätte für probates Flugwetter ist nicht vorhanden. Ansonsten bietet der Strand Anlass, jede Menge Plastikmüll zu sammeln.

 

Ein paar Seemeilen weiter, bereits wieder in der Hinlopenstraße, gerade außerhalb des Murchinsonfjords, betreten wir auf Ringertzøya einmal mehr eine  hochpolare Kältewüste, in welcher außer dem Spitzbergen Mohn kaum blühende Pflanzen zu finden sind. Am Strand liegt wohl geordnet Frostschutt – und erleichtert nicht unbedingt das Gehen. Moose und Flechten gedeihen prächtig – an geschützten Stellen, vor allem, wenn diese durch verwitternde Knochen reich an Nährstoffen sind. Auch rings um die Nester der Küstenseeschwalbe sprießt es verhältnismäßig kräftig: Bereits früher hat man mit Scheiße Geld verdient …

(... und Einfluss aufs arktische Klima hat letztere angeblich auch ...)

Doch auch der Kot von Eisbären weckt Interesse. Michelle nimmt Proben, welche sie mit Notizen zum Zeitpunkt und genauen Fundort der Entnahme an eine Oberschule in NL schickt, damit Rückschlüsse auf Nahrung und Ernährung der Schisser gezogen werden …

Bei genauerer Betrachtung und hinlänglichem Überlegen reift in mir die Erkenntnis, dass auch Polarwüsten so interessant sein können wie die unter den Wendekreisen, wenn auch nicht ganz so warm …

(Fotos von Ringertzøya)

 

 

Di, 09. August, Tag 9 

Die Schatten der Vergangenheit, …

… auch wenn es sich nicht um meine, sondern die meiner Väter handelt, holen mich auch ohne Sonne im leichten Niesel ein. In der Wordiebukta, ein paar Steinwürfe vom Ufer entfernt, liegt die Ruine „Haudegen“, mehr oder weniger gut erhaltene Bauten aus Presspappe, welche die Naziarmee 1944 als Wetterstation einrichtete. Da „… die Entwicklung des Wetters und die absehbaren Veränderungen im Bereich des Atlantischen Ozeans und im Norden und Westen Europas (…) im wesentlich von den meteorologischen Vorgängen in der Atmosphäre des arktischen Raumes abhängen“ (wikipedia, s.o.) war es von strategischem Vorteil, Informationen darüber zu besitzen.

Im Zuge der „Unternehmungen“, Wetterstationen zu errichten, wurden Jäger bedroht, vertrieben, getötet, Trapperhütten in Schutt und Asche gelegt. Es wäre zu begrüßen, wenn denn im Zuge der geplanten Restaurierung dieser Basis "als Denkmal" eine kritische Dokumentation im Rahmen einer Ausstellung dort einen Platz fände. Glorifizierende Darstellungen gibt es hinreichend …

(Fotos von Haudegen)

Übrigens: Das Ankern in der Bucht und der Landgang sind auch für Jo und die Guides ein "erstes Mal" - bis dato scheiterte beides entweder am schlechten Wetter oder am Eis ... 

Am Ausgang des Rijpfjords betreten wir auf der Scoresbyøya in der Nordenskiöldbukta Land. Hinter dem Kieswall steigen wir durch den Schnee von gestern, kann auch der von vorvorgestern sein – jedenfalls ist er verharscht und lädt nicht unbedingt zur Schneeballschlacht ein. Auf der nach innen abfallenden Seite der Insel liegt eine Lagune kodakgerecht fast in der Mitte; hier könnte Christian mit seinem Anschauungsunterricht „Frostmuster und andere frostige Erscheinungen“ beginnen. Die gesamte auf der „Antigua“ in einer ruhigen Stunde per PowerPoint Präsentation vorgetragenen Palette gibt’s hier nicht nur zum Mitlesen, sondern zum Anschauen, Anfassen, Ran- und Reinlegen, Schmecken etc. Ja, ja, die Mühen um ganzheitlichen Anschauungsunterricht stecken mir noch immer in den Knochen. Schaut Euch halt die Bilder an!

(Fotos von Scoresbyøya)

Ergänzend dazu: Die blanken Spitzen der mächtigen, ansonsten von dunklen Flechten bedeckten Felsblöcke weisen diese als Beobachtungsposten all der Vögel aus, die darauf lande(t)en und verharr(t)en. Und nein, dem Eisbären, der dort am Strand seine Fußabdrücke hinterlassen hat, sind wir nicht begegnet. Wer weiß, ob wir sonst den nächsten Abschnitt so unbedarft erlebt hätten …

 

800 33’ 9 N …

… gegen 23:14 Uhr ist fast so wie kurz vor Neujahr - auch wenn es nicht nur "for one" war, unser dinner hatten wir bereits - und es war gar köstlich!

Jana kredenzt uns jedenfalls einen Aalborg, mit dem wir auf Deck Verbliebenen dem nördlichsten Punkt unserer Reise huldigen.

Von jetzt an „down south“ …

(Fotos 80339)

 

 

Mi, 10. August, Tag 10 

Gråhuken, …

… die nordöstliche Landspitze am Eingang zum Woodfjord kann unter dem bedeckten Himmel, aus dem es am frühen Morgen leicht tröpfelt, gar nicht anders heißen und trifft fast mein Bild, das Christiane Ritter von ihrer Ankunft vor gut achtzig Jahren  mit Worten gezeichnet hat; u.a.: „Ein schauerliches Land ist es, denke ich mir im stillen (sic!). Nichts als Wasser, Nebel und Regen; es benebelt die Menschen, bis sie ihren Verstand verlieren. Was haben die Menschen bloß an dieser Insel ?

Auch als wir uns nach dem Nieselregen (und dem Frühstück, sic!) über eine sanft ansteigende Ebene zur „Ritterhytte“ bewegen, hin und wieder fallen ein paar Sonnenstrahlen durch die Wolken, wirkt die Landschaft nicht wirklich einladend. Flechten gedeihen, Alpensäuerling sprießt, Moosflecken finden sich, Steinbrech gibt’s. Die Pfützen und Teiche, welche sich über dem Permafrost gebildet haben, sind mittlerweile ausgetrocknet. Auch wenn die Landschaft "etwas Asketisches" hat, es gibt schönere Strände, an denen ich eine Hütte bauen würde - oder überwintern wollte … 

Die Trapperhütte, noch heute als (Not-)Unterkunft genutzt, ist spärlich eingerichtet. Dem Ensemble mit dem Gestaltungsleitsatz „form follows function“ näher zu kommen, würde nicht nur (Innen-)Architekten auf die Brücke treiben …

(Fotos von der Ritterhytte)

(virtuelle Tour von R. Stange)

 

Pünktlich zum Mittagessen taucht während der Weiterfahrt an der Westküste des Andrée Land ein einsamer Eisbär auf, hungrig wie wir – doch zu weit weg und zu weiß vorm Schneefeld, als dass ich dafür die Farfalle mit Pesto kalt werden ließe. Und ich bin nicht der einzige Snob ...

 

In Mushamna, einer durch lang gestreckte Landzungen geschützten Bucht, gehen wir in „landschaftlich reizvoller Gegend“ vor Anker. Der grobe Kiesstrand enthüllt, warum der Woodfjord so heißt: Sibirische Baumstämme lassen mal wieder grüßen - und eine Elfenbeinmöwe, sicheres Zeichen für einen Eisbären "in der Nähe". Es dürfte wohl der "während der Pasta" gewesen sein ...

Die höher gelegenen Tundraflächen bergen eine dichte Vegetation von „exotischen Pflanzen“ (z.B. Silberwurz, Vierkantiges Heidekraut etc.) – Folge des klimatisch mild wirkenden Einflusses des Golfstroms und sicherer Hinweis, dass wir uns in der „mittleren Arktis“ befinden, die kargen Polarwüsten mithin hinter uns gelassen haben. Keine Sorge, Palmen werden uns so schnell nicht begegnen …

(Fotos von Mushamna)

Beim Auslaufen aus der Bucht wachen gleich zwei Leute im Ausguck, damit wir nicht in die Untiefen der bei ablaufendem Wasser recht tückischen Ausfahrt gelangen. Unbeschadet verlassen wir den Fjord, um nachts gegen 02:00 Uhr vor der Buchanan Halvøya zu ankern.

 

 

Do, 11. August, Tag 11 

Klar ist’s …

… am frühen Morgen über dem südöstlichen Zipfel des Raudfjords. Vom Raudfjordbreen weht ein kühler (50 C) Hauch übers Deck und zwingt mir einmal mehr einen heißen Kaffee auf.  Gletschertour ist für den Vormittag angesagt. Am Westufer des Klinckowströmfjords betreten wir zunächst festes Land der Buchanan Halbinsel, bevor wir uns unter Christians sachkundiger Leitung auf den aperen (schneefreien) Teil des Gletschers einlassen. Rau ist seine Oberfläche ob des häufigen Wechsels zwischen Antauen und Frieren, mithin rutschfest. Auch finden sich keine Spalten, allenfalls schmale Risse, mitunter sehr tief ins uralte Eis reichend. Oft fließt Schmelzwasser hindurch und verschwindet gurgelnd in Gletschermühlen. Sobald alle stehen bleiben und in die Tiefe lauschen, erstirbt das Knirschen auf dem Eis. Dafür vernehmen wir das Strömen und Plätschern der Wasser im Gletscher. Ruhig ist etwas Anderes …

Untergrund-(hindernisse), Neigung, Sonneneinstrahlung, Wind, Nachschub bestimmen neben Fließgeschwindigkeit und – richtung auch Form und Beschaffenheit der Oberfläche. So bilden sich Risse, werden fast säulenartige Eiskliffs, zusammenhängende Buckel oder sanft geschwungene Wellen geschaffen, welche so manchen dicken (Stein-)Brocken tragen ...

Von einer Seitenmoräne aus, durch deren ungeordnetes Material wir nicht ganz ohne Mühen aufsteigen, erblicken wir den benachbarten Chauveaubreen, der auf der Westseite der Halbinsel im Ayerfjord mündet und mit seinem Schmelzwasser gleichfalls den Raudfjord beglückt.

(Fotos vom Raudfjordbreen)

  

Auf unserer nicht all zu langen (Rück-)Fahrt entlang der Ostküste, relativ dicht unter Land, bekommen wir einen Vorgeschmack, warum R. Stange diese Landschaft schlicht als „schön“ (mit Smiley) bezeichnet. Die Sonnenstrahlen, welche sich immer häufiger durch die Wolkendecke schleichen, bringen den Old Red zum Leuchten und die Gletscherzungen zum Strahlen – uns übrigens auch …

Etwas ernster werden wir, als unsere „zweite Gruppe“ beim Landgang in Bruceneset vor einem durch Frosthub an die Erdoberfläche beförderten Sarg verharrt. Und auch das Grab des Skippers Erik Mattilas, gewiss, recht schön auf einem Hügel gelegen, lässt über die Entbehrungen nachdenken, welche die Trapper und Fischer in Kauf genommen haben …

(Fotos von Bruceneset)

Rund wird er auch noch, dieser Abend, rund wie die Buckel der Finnwale und des Blauwals (letzterer taucht dicht neben dem Bug der "Antigua" auf). Keine Frage dass Jo unseren Kurs dem der Bläser anpasst und erst nach gut anderthalb Stunden auf Südsüdost dreht. So laufen wir denn in der Nacht Richtung Krossfjord ...

 

 

Fr, 12. August, Tag 12 

Plan B …

… muss heute greifen, erstmals auf dieser Reise: Statt nach dem Frühstück in der ehemaligen Bergarbeitersiedlung an Land zu gehen, überlassen wir die nördliche Forschermetropole Ny Ålesund, welche im Sommer (derzeit also) etwa 200 Einwohner zählt, den 2.000 (doch, richtig gelesen) Gästen eines Kreuzfahrtschiffes, das kurz nach uns in den Kongsfjord einläuft ...

Die 200 Passagiere der „Fram“ wären wohl nicht weiter ins Gewicht gefallen. Also nix wie weg. Auf der anderen Seite des Fjords haben andere Mütter auch schöne Töchter, z.B. die Blomstrandhalvøya. Die Halbinsel besteht aus vielen von Gletschern abgeschliffenen Felshügeln mit flacheren Flecken Tundra dazwischen.

Beim Anlanden in der Peirsonbucht fallen sogleich zwei verbleibende „Häuser von London“ (sic!) ins Auge, Reminiszenzen aus den Zehnerjahren des letzten Jahrhunderts, da ein arktisbegeisterter Unternehmer horrende Summen investierte, um qualitativ unbrauchbaren Marmor abzubauen - und in den Sand setzte ...

(Fotos von Mansfields London)

 

Die Umgebung von London ist Flora und Fauna betreffend mindestens ebenso interessant wie das vor sich hin rostende Kulturdenkmal. Über einen Pflanzenteppich schwebend gelangen wir an einem kleinen Wasserfall an eine der vielen Forschungseinrichtungen auf dieser Halbinsel, die keine mehr ist - der Gletscher hat sich zurückgezogen und damit den "offenen Fjord" freigegeben ...  Durchflussmenge, Temperatur etc. werden zeitabhängig gemessen und dorthin gefunkt, wo mittlerweile Pilgerscharen die "Butikken" stürmen. Auf einer „höheren Ebene“ will man nicht das Gras wachsen hören, sondern die Anzahl unterschiedlicher Pflänzchen sowie ihr Gedeihen (oder auch nicht) beobachten.

Hier geraten unsere birders in helle Aufregung: Falkenraubmöwen streichen über uns hinweg. Von einem der abgeschliffenen Felshuckel erblicken wir auf einer kleinen Insel in einem der Teiche ein Rentier, welches eine Schar dort brütender Eiderenten in arge Bedrängnis bringt. Möglicherweise plündert es die Nester. Ob es sich dabei um das angeblich bereits beobachtete eierfressende Exemplar handelt? Kann sein, kann aber auch nicht sein. Jedenfalls schwimmt es nach seinem Rundgang zurück an Land – und sucht weiter nach Nahrung, diesmal offensichtlich nach veganer …

Über einen Umweg um einen weiteren Teich herum, scheue Sterntaucher sollen unbehelligt bleiben, kehren wir zu den Fundamenten und den Resten einer wandlosen Küche bei London zurück. Hier steht noch immer die am häufigsten fotografierte Kaffeekanne nördlich des Polarkreises auf einem Herd in der Landschaft …

(Fotos vom Gang über die Insel)

 

Bevor Ihr Euch im Krossfjord wiederfindet (Plan B2) noch ein Döneken von Jo, wenn Ihr möchtet …

 

Fernhalten …

… vom Kreuzfahrerrummel, wir sind schließlich selber welche, ist auch für den Nachmittag angesagt. Sind an der Mündung des Krossfjords die Ufer zunächst noch recht flach, so werden sie nach Norden hin zunehmend steiler und im Lilliehöökfjorden schließlich so schroff, dass es kaum einen Strandstreifen gibt: Der Frostschutt stürzt gleich in die tiefe Wasserrinne.

Trotz des stark bedeckten Himmels, der die ohnehin schon düstere Umgebung noch dunkler, mystischer erscheinen lässt, wirkt die Bucht vorm Lilliehöökbreen überwältigend. Gute elf Kilometer erstreckt sich die Abbruchkante in einem weiten Bogen, sehr unterschiedlich in Höhe, Wand- wie Oberflächenstruktur.

Alwin steuert uns im Zodiac sicher zwischen den zahlreichen Eisschollen entlang der Kalbungsfront. Immer knackt, kracht, rumpelt es irgendwo im Gletscher. Sanfte, weite, kaum merkliche Wellen wiegen unser Gummiboot. Deutlich höher schlagen die Wellen (und die Herzen), sobald sich ein größerer Brocken mit Getöse löst und ins Wasser stürzt. Kurze Zeit später hören wir nur noch das leise Klackern, wenn die treibenden Schollen aneinander stoßen. Auch wenn sich nach einer guten Stunde „Glacier-Express“ in slow motion die Kälte der wohl verpackten Extremitäten bemächtigt, jeder hätte sich gerne noch länger durchs Eis schaukeln lassen …

Übrigens: Zwischen 60 und 140 m seien die Gletscherwände hoch, haben Christian und Jo vom Steuerhaus aus gemessen.

(Fotos vom Lilliehöökbreen)

 

Am Abend machen wir am Pier in Ny Ålesund fest – kaum andere Kreuzfahrer neben, hinter oder vor uns, dieses Stück Kongsfjord jedenfalls fast für uns ganz alleine …

Und so genießen paar liebe Menschen von „unserem Tisch“ mit paar anderen lieben aus der Crew, Sarah und Nemo sind auch dabei, die helle, verhältnismäßig milde Mitternacht unter der Schirmherrschaft von Captain M., bevor wir feststellen, dass auch morgen, d.h. heute, mal wieder hundert Jahre anfangen ...

 

 

Sa, 13. August, Tag 13 

Dunkel  …

… beginnen sie, die hundert Jahre!

Hat nichts mit dem Bau „der Mauer“ vor 55 Jahren zu tun, vielmehr mit dem Pier von Ny Ålesund: Wir liegen mit unserem Porthole so dicht davor, dass kaum Licht in die Kabine fällt. Dunkle Nacht beim Aufwachen, hatten wir seit zwölf Tagen nicht mehr, fast wie zu Hause ...

Der Gang an Deck korrigiert diesen Eindruck sofort – allerdings geht ein Kreuzfahrtschiff, die "MS Polaris",  auf der Reede vor Anker. Mal abwarten, wer heute schneller gut gefrühstückt hat …

Egal! Wir fallen beim Herumstreunen in kleinen Grüppchen durch das Forschungsdorf zumindest weder durch Formation noch durch Uniform auf …

Nicht unattraktiv ist die umgebende Landschaft; wenn man ein wenig über die Dächer der flachen Häuser hinaus schaut. Ein wenig Sonne allerdings würde nicht nur die Fotoamateure entzücken. Vom Anleger aus führt genau ein Hauptweg in den Ort und mündet in eine weitere ernst zu nehmende Querstraße. An diesem Gewirr, bzw. einen Steinwurf weit links oder rechts davon, findet sich alles, was wichtig ist oder werden könnte. Die legendäre Kongsfjordbutikken dürfte (in Relation zur Besucherzahl) fast so frequentiert sein wie das Nutmeg in St. George’s, verfügt jedoch nur über einen Bruchteil des dortigen Angebots an Hochgeistigem. Allerdings gibt’s probate Wanderkarten zu kaufen, Siggi …

(Selbstvermarktung ...)

Folgt man den Infotafeln, wird man sicher zu all den als Sehenswürdigkeiten definierten Orten geführt und mit einigen Erläuterungen ge-, doch nicht überfüttert. Angenehm zu sehen, dass manche Forschungsstationen mit kleinen Reminiszenzen „an daheim“ erinnern; angenehm auch, dass die fremden hier Wohnenden die fremden Besucher, so sie sich vereinzelt durch die Siedlung schnuppern, freundlich grüßen und dem ein oder anderen kurzen Plausch nicht abgeneigt sind.

(Fotospaziergang durch Ny Ålesund)

 

Die Ansammlung an Polarstationen setzt im Grunde die Geschichte der Eroberung und Erforschung des Nordpols fort – mit anderen Mitteln und gewiss auch anderer Zielrichtung; lassen wir geopolitische Interessen nicht außer acht. An der Büste von Roald Amundsen, "the one with the big nose", treffen wir uns als Gruppe, um zum Ankermast zu spazieren, Startpunkt zweier bedeutender Expeditionen mit den Luftschiffen „Norge“ und „Italia“ in den 1920ern. Das Ziel liegt … einige hundert Meter außerhalb des Ortes, mithin muss „polar bear protection“ gewährleistet sein. Im Dorf stehen dafür „alle Türen offen“, für den Fall der Fälle - und nur dafür!

(Fotos auf dem Weg zum Ankermast)

 

Im „Heimatmuseum“ lässt sich mein Besuch der Siedlung abrunden, welche für sich in Anspruch nimmt, die nördlichste der Erde zu sein. Ushuaia mag grüßen, aus dem Süden – viel wärmer war es dort auch nicht …

 

 

Wir verlassen den dicht bebauten Flecken und streben durch den Krossfjord, ja genau, dort waren wir bereits, Mitte August dem Juli entgegen, genauer der Fjortende Julibukta, welche genau bis zum Ende des Gletschers gleichen Namens reicht. Relativ günstiges Klima, nicht gar so steil abfallende Gesteinshänge, reichlich verwitterter Schiefer und jede Menge Vogelfelsen sorgen für eine recht vielfältige Pflanzenwelt. So erblicken wir bereits vor dem Ankern mehrere Gruppen von Spitzbergen Rentieren, die im Grün unterhalb etwas schroffer Zinnen grasen. An steilen Felsen, weit oben in den Hängen, finden sich Seevogelkolonien und tragen ihren Teil zum Gedeihen der hängenden Gärten bei.

Bergziegen gibt es heute nicht, eher schon „Eissheilige“, welche sich auf dem schmalen Strandstreifen Richtung Gletscher amüsieren – oder auch nicht. Nach so viel Stadt am frühen Morgen ist mir nach Kaffeefahrt im Zodiac, heute also in der "Genießergruppe". Für die sorgt Daniel, der mit mir und drei Passagierinnen gemächlich dicht unter Land bis zur Mündung in den Krossfjord tuckert, geradezu vorbildlich.  Noch immer nisten unzählige Papageientaucher in kleinen Höhlen und auf Felsvorsprüngen über dem Meer, in guter Nachbarschaft mit Dickschnabellumen und ständig belauert von beutegierigen Eismöwen.

Mit reichlich Zeit, ein „Kaffee mit“ würde gut tun, queren wir den Fjord, um den Eisenten ein wenig näher zu kommen, welche sich mit ihren Jungen in einer kleinen, abgelegenen Bucht aufhalten. Pünktlich zum Abendessen kehren wir an Bord zurück. Die nächste reality show kann beginnen.

 

Und sie beginnt: Noch vor Kapp Guissez, wir fahren noch im Krossfjord, erblickt Sascha aus seiner Küche eine Eisbärenmama, die uns mit ihrem Zweijährigen in einem Hang, nicht gar zu weit vom Ufer entfernt, entgegen getrottet kommt. (n.b.: Ob Eisbären, Bartrobben, Wale, fast alle größeren Tiere, auf die wir alle so scharf sind, sie zu sehen, hat Sascha als Erster entdeckt – er hat als Koch halt nicht nur einen guten Riecher …)

Grund genug für Jo, die Geschwindigkeit zu drosseln, und den beiden auf ihrer Suche nach Fressbarem mit den Augen zu folgen. Jo wendet und begleitet die beiden bis sie hinter einem Schottergrat verschwinden.

Damit nicht genug: Er steuert die „Antigua“ zurück in die 14. Juli Bucht – und siehe da, wir entdecken die beiden wieder, am Strand. Sie bewegen sich Richtung Gletscher, klettern auf eine Eisscholle im Fjord, kehren zurück an Land, traben uns entgegen. Jo bleibt weg vom Ufer, nähert sich der Gletscherfront und ermöglicht so der Alleinerziehenden, mit ihrem Sprössling hinter uns angstfrei den Fjord zu queren. Eisschollen verdecken zeitweise die beiden. Am anderen Ufer schließlich, dort, wo vor gut zwei Stunden die Eisheiligen entlang gewandert sind, wird sich erstmal kräftig geschüttelt. Dann beginnt der Aufstieg Richtung hängender Gärten. Die Rentiere, etwas unruhig geworden im hoch gelegenen Grün, ziehen sich zurück, sind vielleicht eine Nummer zu groß für Muttern. Die allerdings wittert die Vögel und sucht nach einem Einstieg ins Felsenlabyrinth; ran an die Eier - oder was daraus geworden ist. Nach etwa einer halben Stunden lässt sie Hunger Hunger sein und und findet für sich und den Kleinen einen Ruheplatz im Steilhang.

Fast drei Stunden haben wir vom Schiff aus den Triathlon der beiden (Laufen, Schwimmen, Klettern) verfolgen können, bevor Jo abdreht und den ursprünglichen Kurs einschlägt. Sagt selbst, könnt Ihr Euch so etwas außer in einem Minitaxi vorstellen???

(Sorry wg. der Suchbilder)

 

Den Rest der Nacht stampfen wir durch den Forlandsund mit seinen Engen und Untiefen in Höhe Sarstangen bis in den St. Jonsfjord.  Doch bereits lange davor lasse ich mich von der See durch meinen Schlaf schaukeln ...

 

 

So, 14. August, Tag 14 

Flexibilität …

… ist gefragt: Als „Landschaftlich auf etwas zurückhaltende Art sehr reizvoller, eher kleiner (20 km lang) mit mehreren Gletschern und Bergen, deren zentrale Farbenpracht bei gutem Wetter schön zur Geltung kommt.“ S. 337) beschreibt R. Stange den St. Jonsfjord, in den wir zum Frühstück einlaufen. Ein flüchtiger Blich nach draußen genügt, um zu erkennen, dass die entscheidende Bedingung nicht erfüllt ist. Also setze ich in der Liste „Landgang“ erstmals einen Kringel hinter meinen Namen und nutze die Gelegenheit, den Sonntagvormittag bei Schokoladenwetter wo immer auch zu genießen; jedenfalls im Trockenen, Warmen, vielleicht sogar in der Koje. Klappe vorm Bullauge zu – day for night (oder umgekehrt???), mal sehen … 

Doch bevor die Unentwegten dem Eisbären begegnen, den bei diesem Wetter niemand vor die Tür schicken würde, braucht es reichlich Zeit, um einen geeigneten Ankerplatz zu finden. Kaum hält der Anker, dreht der Wind – also Anker lichten, einen anderen Platz suchen, Ankerkette abwärts, (ab-)warten. Der Wind dreht, zurück auf Los! Irgendwann ist ein sicherer Platz gefunden, Gjeertsenodden, leichter Niesel. Mein Kringel steht! 

Und mit Jo und einigen anderen an Bord Gebliebenen stehe ich kurze Zeit darauf im Maschinenraum. Eng ist’s hier, und warm, wie in der Kabine …

(Grüße aus dem Maschinenraum)

 

 

Ich übe mich in Ignoranz und frage die zurückgekehrten Landgänger nicht, ob und ggf. was ich alles versäumt habe, freue mich vielmehr über das vorsichtig sonnige Wetter im Forlandsund und den auffrischenden Wind vor Poolepynten. Geht dem Kapitän offensichtlich ähnlich, denn er lässt die Segel setzen.

(unter Segeln)

 

Danach schieben wir mit kaum merklicher Lage nach SSO, bis wir noch vor Daudmannsodden in die Kreuzseen mit höheren Wellen von West und Süd geraten. Selbst nachdem alles Zeug geborgen ist, rollt und giert die „Antigua“ stärker als für die Gleichgewichtsorgane mancher Mitreisenden verträglich. Wird nichts mit dem Käptns Dinner heute Abend. Jana, selbst erheblich in die Vorbereitungen involviert, sagt’s resolut ab. Gewiss die richtige Entscheidung angesichts der stark reduzierten Gästezahl auf Deck, auch wenn es gerade für die Küche und die Ladies vom Service frustig sein dürfte. Sascha ist selbst am späten Abend, nachdem er uns Verbliebene „auf die Schnelle“ mit köstlichen Käsespätzlen und Speck ausgiebig versorgt hat, schier untröstlich. Gewiss, morgen hat auch noch einen Abend, doch der hätte ein freier für die Crew sein können, Monday Night Fever in Longyearbyen …

Nach dem Passieren des Alkhornet im Isfjord wird’s deutlich ruhiger – der Wein schwappt nicht mehr aus dem Glas und Jana erinnert sich an die Rettung ihrer Cocktailgläser. Für eine ruhige Nacht sorgt Capitain M. Dickes Danke an beide!

 

 

Mo, 15. August, Tag 15 

Unruhig …

… war’s gestern, vom späten Nachmittag bis zum späten Abend. Heute früh schlägt nichts, was ernsthaft Welle genannt werden könnte, an die Bordwand. Dazu lacht die Sonne überm Ekmanfjord. Schlammig rötlich schimmern die Wasser vor Coraholmen in der Bucht, welche genau das im Namen trägt: Mudderbukta – Berliner verstehen so ’ne Begriffe auf Anhieb, auch wenn sie im Westerwald groß geworden sind …

R. Stange liefert die Erklärung (für den Namen …) gleich nach dem ersten Kaffee: „Die ältesten Schichten gehören zum devonischen Old Red, das seinem Namen hier alle Ehre macht (…) Die durch Eisenoxid (Hämatit) verursachten Farben der Sandsteine und Konglomerate des Old Red sind für die Färbung von Schmelzwasser und Moränen der Geltscher verantwortlich.“ (S. 314) Und wie!

Die Insel gab’s wohl schon „ewig“, als während der „kleinen Eiszeit“ (1896) ein heftiger Vorstoß des heute eher unauffälligen Sefströmgletschers eine „chaotische Moränenlandschaft hinterlassen hat.“ (ders. S. 314).

Am Ufer der Insel, Euphemisten nennten es Strand, weist ein Wall aus fossilen Muscheln, Productus cora, auf den Namensgeber hin. Der Sefströmbreen hat halt damals allen möglichen „Eiszeitdreck“ vor die bereits bestehende Insel (Tundralandschaft) geschoben und ihr eine Mondlandschaft im Westen aufgenötigt. Bevor ich diese unter meine senfgelben Bauarbeiterstiefel nehme, nehme ich mir Zeit, die Mudderbukta aus erhabener Position anzuschauen. Genießt selbst!

(Fotos aus der Mudderbukta)

Durch einen trockenen Abflussgraben vom Mond getrennt, erhebt sich außerhalb der Moränenlandschaft eine ebene Tundra auf Torfschichten, welche etliche tausend Jahre alt sein dürften. Die Vegetation (sowie das Bestreben, diese digital zu dokumentieren) hat, bei allem Respekt vor der Schöpfung, etwas Altpäpstliches …

(Fotos von Coraholmen)

 

Vor unserer Rückkehr zum „Strand“ spazieren wir noch einmal durch die „Quartärgeologie“, welche gewiss nicht ohne Reize ist …

(Fotos aus dem Eiszeitdreck)

 

Auf der Fahrt zurück blinzeln uns letzte Gletscher im fahlen Mittagslicht von der Seite zu.

Am Nachmittag dann, nach „Kaffee und Kuchen“, der letzte Landgang vor dem Abheuern – auf Bohemanflya. Hinter dem schmalen Kiesstrand erhebt sich die flache Halbinsel mit einer weiten Tundra, welche von ein paar niedrigen Felsrücken durchzogen ist. In den feuchten Senken begeistert Wollgras unsere Botaniker.

Zu dem, was dieses Stück Land für Norweger, Niederländer und Russen interessant machte, kommen wir ob (erstmals) knapper Zeit nicht: die westlich von Bohemanneset zutage tretenden Kohleschichten um die Grube Rijpsburg.

(Fotos von Bohemanflya)

 

Zurück an Bord sind die Vorbereitungen fürs Käptns Dinner abgeschlossen. Fehlen nur die Gäste – und die komplette Mann-/Frauschaft (!). Und sobald wir uns alle im Salon eingefunden haben, erfolgt ein lockerer Rückblick mit durchaus tiefgründigen Anmerkungen auf eine großartige Reise, deren gutes Gelingen wir gerade auch der nimmermüden, sehr flexiblen Crew und den engagierten Guides, die alle mit Freude bei der Sache waren, verdanken.

Bedankt!!!

 

Wer noch immer nicht genug hat: (... hier das Triplog aus guides' paw)

 

 

Bis demnächst

panther & co